Diese Unsicherheit nahmen Wuppertaler Behörden bereits zum Anlass, ein Gebäude mit 72 Bewohnern zu evakuieren. Es muss sich noch zeigen, ob dies ein Ausnahmefall bleibt oder ob plötzlich ganze Häuserblocks zu unbewohnbaren „Feuerfallen“ deklariert werden.
Die bisherige Berichterstattung konnte allerdings wenig Klarheit darüber schaffen, worum es in der gesamten Debatte überhaupt geht – also von welchen Bauteilen ein tatsächliches Brand-Risiko ausgeht. energieheld möchte daher die verschiedenen Aspekte etwas differenzieren, um der Diskussion wieder mehr Objektivität zu verleihen. Philipp Kloth von Energieheld hat dazu unter Zuarbeit des Dämmstoffexperten Arnold Drewer nachfolgende Zusammenstellung entwickelt. www.energieheld.de betreibt ein Portal für Baumaßnahmen im Bereich der energetischen Sanierung. Arnold Drewer hat eines der umfassendsten Nachschlagewerke für den Bereich Dämmstoffe entwickelt und ist unter anderem Dozent zu diesem Thema beim Portal www.Weiterbildung-Energieberater.info .
Hintergrund zur Brandschutz-Debatte
Mitte Juni war ein 24-stöckiges Gebäude im Nordwesten Londons durch einen defekten Kühlschrank in Brand geraten. Obwohl die meisten Menschen aus den 120 Wohnungen flüchten oder gerettet werden konnten, starben dennoch 80 Menschen in dem Feuer. Erschreckend war besonders die Geschwindigkeit, mit der sich die Flammen an der Fassade ausbreiten konnten – zum jetzigen Zeitpunkt ist noch immer unklar, wo die genaue Ursache dafür zu finden ist.
Laut den beteiligten Experten ist das Ausmaß des Unglücks jedoch sehr wahrscheinlich auf eine Verkettung unglücklicher Umstände zurückzuführen. Vermutlich hat die Verkleidung aus Aluminium zusammen mit einem dahinterliegenden Luftspalt für eine schnelle Ausbreitung des Feuers (Kamineffekt) gesorgt. Dafür spricht, dass auf vielen Bildern eine noch intakte Dämmung aus Polyisocyanurat-Hartschaum (PIR) zu erkennen ist, die sich hinter der abgebrannten Fassade befand. Daneben waren auch Brandschutztüren, Feuerlöscher, Rauchmelder, Sprinkleranlagen und Rettungswege nicht adäquat ausgebaut.
Darum geht es aktuell nicht in Deutschland
Zunächst sollte einmal klargestellt werden, dass Deutschland und Großbritannien hinsichtlich des Brandschutzes von Fassaden überhaupt nicht in derselben Liga spielen. Der Vorfall in London wird einfach als Anlass genommen, noch offene Sicherheitslücken zu schließen. Hessen, Nordrheinwestfalen und Bayern lassen daher alle Hochhäuser auf ihre Sicherheit im Brandfall überprüfen. Entgegen der landläufigen Meinung geht es jedoch nicht generell um Dämmungen oder das berüchtigte Styropor, sondern speziell um Konstruktionen nach altem Baustandard, die in Verbindung mit einer Fassaden-Verkleidung und schlechten Brandschutzmaßnahmen zu einer Gefahr in Gebäuden über 22 Metern Höhe werden könnten. Die Anzahl betroffener Gebäude ist also denkbar gering.
Es geht nicht speziell um Dämmungen, weil dieser Begriff viel zu weit gefasst ist. Dämmungen können im Dach, an der Fassade, auf dem Fußboden oder auch im Keller eingesetzt werden. Es gibt sie in verschiedensten Ausführungen und mit unterschiedlichsten Materialien. Einige sind schwer entflammbar, andere überhaupt nicht brennbar. Auch Holz wird beispielsweise überall im Haus eingesetzt, aber stellt nicht in jedem Fall ein Brandrisiko dar.
Danach wird in deutschen Hochhäusern gesucht
Bei der aktuellen Überprüfung deutscher Hochhäuser geht es nicht um die Frage, welche Gebäude eine Dämmung besitzen, weil diese angeblich grundsätzlich brandfördernd ist. Stattdessen soll geprüft werden, ob ein Hochhaus (über 22 Meter Höhe) als Gesamtkonstrukt samt aller verwendeten Materialien ausreichend gegen die Einwirkung von Feuer geschützt ist. „Schutz im Brandfall“ bedeutet dabei nach realistischen Gesichtspunkten, dass kein Mensch zu Schaden kommt und das Feuer in absehbarer Zeit unter Kontrolle gebracht werden kann. Ein vollkommen unbrennbares Gebäude wäre utopisch und kaum zu bezahlen.
Im Falle des Wuppertaler Hochhauses (Baujahr 1959) wurde bei der Fassade nach damals üblichen Normen gearbeitet. In der Fassade befindet sich lose Holzwolle in einer Holzkonstruktion. Dieser Aufbau ist tatsächlich brennbar, aber entspricht gleichzeitig schon lange nicht mehr gängigen Baustandards. Bisher hatten sich die wechselnden Besitzer der Immobilie jedoch stets geweigert, das Hochhaus zu sanieren. Selbst der komplette Austausch gegen eine nicht brennbare Mineralwoll-Dämmung würde das Problem nicht plötzlich auflösen. Schutzmaßnahmen müssen auch das Innere eines Hauses betreffen, weil hier die allermeisten Brände entstehen.
Tatsächlich ist im Fall von Installationsschächten eine Dämmung sogar unbedingt notwendig, um einen Brandverlauf wie in London zu verhindern. Sind solche Schächte nicht gedämmt, dann entsteht ein Kamineffekt, durch den das Feuer blitzschnell durch das gesamte Gebäude getragen wird. Es kommt also weniger auf die Frage an, ob und wie die Fassade gedämmt ist, sondern eher darauf, wie sicher das Gebäude im Brandfall insgesamt ist.
Zwischen Gefahr und Risiko unterscheiden
Egal ob eine Fassade nun mit Holzwolle, Polystyrol oder nicht brennbarer Mineralwolle gedämmt wurde, bei der Brandsicherheit muss immer zwischen Gefahr und Risiko unterschieden werden. Diese Begriffe werden häufig sehr lose verwendet, entscheiden jedoch maßgeblich darüber, wie sicher wir im Alltag sind. Das einfachste Beispiel wäre ein Tiger im Zoo. Grundsätzlich kann das Tier als gefährlich eingestuft werden, aber die Stärke des Käfigs entscheidet darüber, wie hoch das Risiko ist, tatsächlich von dem Tiger angefallen zu werden.
Ebenso verhält es sich mit Dämmstoffen, die als „schwer entflammbar“ eingestuft werden. Das heißt, dass Stoffe wie Polystyrol tatsächlich erst anfangen zu brennen, wenn das übrige Haus schon in Flammen steht. Statistisch ist das Risiko einer brennenden Fassade also relativ gering, bzw. irrelevant, wenn das übrige Haus ohnehin schon brennt. Auf selbem Weg wird beispielsweise auch das Dach gegen zu erwartende Risiken, aber nicht gegen die grundsätzliche Gefahr eines Meteoriteneinschlags gesichert.
Wo liegt also das zentrale Problem?
Aus einer realistischen Perspektive liegt das zentrale Problem im Falle des Wuppertaler Hochhauses nicht bei der veralteten Fassaden-Dämmung aus Holzwolle. Wir können immerhin nicht in das Jahr 1959 zurückreisen und allen Verantwortlichen erklären, wie Brandschutz in der Zukunft aussieht. Selbst wenn diese Möglichkeit bestünde, so würde im Kontext der Nachkriegszeit, der Wiederaufbau mit Schaffung neuen Wohnraums vermutlich im Vordergrund stehen. Genauso wenig können alle Gebäude ad hoc saniert werden.
Damals wurde vieles gebaut und zugelassen, worüber heutige Sachverständige nur müde schmunzeln würden. Wichtiger ist deshalb die Frage, wie wir angemessen auf solche Sicherheitslücken reagieren. Die verantwortlichen Behörden besitzen wenig Handhabe, um streng gegen veraltete Baustandards vorzugehen. Ulrike Kusak (Sprecherin der Stadt Wuppertal) zufolge, wurde seitens der Stadt schon seit 2010 mit Fristen und Zwangsgeldern darauf gedrängt, die Fassade des jetzt geräumten Hochhauses zu sanieren. Mehrfacher Besitzerwechsel sorgte jedoch dafür, dass die Höhe der Strafen immer wieder zurückgesetzt werden musste und deren Zahlung erheblich günstiger blieb, als ein Austausch der gesamten Fassade.
Viele Dämmstoffe sind überhaupt nicht brennbar
Die aktuelle Debatte um die Brennbarkeit von Fassaden-Dämmungen vermengt Probleme von Hochhäusern mit denen von kleineren Gebäuden. Theoretisch steht es jedem Eigenheimbesitzer völlig frei, ob er selbst einstöckige Gebäude mit nicht brennbaren Materialien dämmen möchte. Diese Variante ist zwar teurer, schafft aber auch mehr Sicherheit, falls einmal das gesamte Haus brennen sollte. Der Staat lässt jedoch jedem die Möglichkeit offen, auch günstigere Materialien zu verwenden, die „nur“ schwer entflammbar sind.
Eine Pflicht zur Nutzung von nicht brennbaren Materialien besteht nur bei Gebäuden über einer Höhe von 22 Metern, weil die meisten Feuerwehrleitern nicht höher reichen. Was der Staat also als Freiheit bei der Wahl von Baustoffen vorsieht, wird aktuell leider fälschlicherweise als Verantwortungslosigkeit gewertet.
Fazit: Was hat uns der Brand in London gelehrt?
Für Experten dürfte es durch den Hochhaus-Brand in London keine Erleuchtung im Bereich brennbarer Baumaterialien gegeben haben. Unter praktischen Gesichtspunkten ist es unmöglich und unnötig, alles in unserem Alltag absolut feuerfest zu gestalten. Nicht einmal unsere Kleidung, die wir immerhin direkt am Körper tragen, hält einem kleinen Feuer stand.
Stattdessen ist deutlich geworden, wie groß eventuell der Nachholbedarf bei der Einhaltung aktueller Baustandards sein könnte. Dazu gehört nicht nur das Erkennen von kritischen Punkten, sondern auch die Durchsetzung entsprechender Änderungen. Darüber hinaus wird die Sicherheit alter Gebäude offensichtlich verklärt, wenn es gerade ein Hochhaus von 1959 ist, das geräumt werden musste.
Profil: Diesen Artikel schickt ihnen Helmut König von www.energieberater-weiterbildung.info. Er wurde auf der Plattform energieheld unter https://www.energieheld.de/blog/fassadendaemmungen-und-brandschutz-gefahr-vs-risiko/
veröffentlicht. Das Portal Energieberater-Weiterbildung hat sich zur Aufgabe gemacht, Wissen in der Energie- und Ressourceneffizienz bei Privat-, Gewerbe- und Industriebauten sowie bei Gebäuden der öffentlichen Hand zu vermitteln. Dazu stehen verschiedene erfahrene Spezialisten für Seminare, Beratungen und Vorträge zur Verfügung. Arnold Drewer ist über diese Plattform erreichbar.
Helmut König betreut in diesem Zusammenhang ein Netzwerk von über 7.000 Spezialisten aus dem Bereich der Energieeffizienz.
Helmut König Mittelstraße 19 35516 Münzenberg Telefon: +49 6033 / 74 66 34 Mobil: +49 172 / 920 170 9 E-Mail: koenig@koenigskonzept.de
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