Aus dem Inhalt:
Kurzvorstellung Prof. Timo Leukefeld
eccuro: Hallo Herr Prof. Leukefeld, bitte stellen Sie sich doch kurz vor!
Prof. Timo Leukefeld: Glück Auf und einen guten Tag. Mein Name ist Timo Leukefeld. Aufgewachsen bin ich in einer Försterei und habe das Thema Nachhaltigkeit mit der Muttermilch aufgenommen. Heute entwickle ich vernetzte energieautarke Gebäude und Quartiere, die sich selbst und Nachbargebäude mit Wärme, Strom und Mobilität aus der Sonne versorgen. Ich selbst habe vor meinem Studium der Energetik an der TU Bergakademie Freiberg einen ordentlichen Handwerksberuf gelernt. Das hat mir nicht geschadet, im Gegenteil… Ich berate heute Bauherren im Neubau und Altbau in ganz Europa, Kommunen, Banken, Bausparkassen, die Wohnungswirtschaft, Energieversorgungsunternehmen sowie die Politik. Außerdem beschäftigt mich die Frage wo die Reise hin geht, wie wir in Zukunft energetisch leben werden. Dazu stehe ich in engem Kontakt und Kooperation mit Menschen, die diesen Planeten positiv verändern und ganz neue Wege gehen wie zum Beispiel Prof. Ernst Ulrich von Weizsäcker, Prof. Michael Braungart und Jeremy Rifkin.
Wie wir heute Energie verbrauchen
eccuro: In einem vorangegangenem Interview beschrieb Markus Rövekamp den politischen Zustand der Energiewende als chaotisch. Wie schätzen Sie den aktuellen Zustand in Deutschland ein? Gibt es Ihrer Meinung nach noch eine Aussicht auf Erfolg?
Prof. Timo Leukefeld: Der Zustand ist kritisch bzw. instabil. Wir haben in der Energiewende bisher Schwächen mit Schwächen kombiniert und wundern uns über die entstandenen Probleme…. Wir belassen das zentrale Energieversorgungssystem weitestgehend und versuchen „von der Seite“ sehr viel fluktuierende erneuerbare Energie (hauptsächlich Strom) in das System „hineinzustopfen“. Bis 20 % Anteil fluktuierender erneuerbarer Energie im Netz ist das alles kein Problem. Das verträgt das alte zentrale System. Bei 20-40% gehen die ersten technischen und wirtschaftlichen Probleme los, es kommt zur Macht- und Geldumverteilung. Das erleben wir aktuell hautnah. Bei einem wesentlich höheren Anteil an fluktuierender erneuerbarer Energie im Netz eines alten zentralen Systems steigt das Risiko eines Kollapses immer mehr an. Wenn wir also das zentrale Energieversorgungssystem weiter belassen und immer nur einfach immer mehr fluktuierende Energie einspeisen, optimieren wir das Falsche mit hoher Effizienz. Dadurch wird es nur noch falscher… Ich beschreibe damit einen systemischen Fehler der Energiewende.
Wie können wir den Fehler beheben? In dem wir endlich Stärken mit Stärken kombinieren. Wir müssen auf dem Weg zu einer hochgradig mit erneuerbarer Energie versorgten Gesellschaft in einem energetischen Wandel das Energieversorgungssystem dezentralisieren. Das wäre eine Stärke. Strom muss in Zukunft dort produziert werden, wo die Industrie ist (das klappt jetzt schon) und dort wo die Menschen leben und Energie benötigen. Dann kann die gesamte Abwärme in den Gebäuden über Nah- und Fernwärmenetze genutzt werden. Damit würden wir einen gewaltigen Effizienzsprung machen und den Einsatz von fossilen Energien drastisch reduzieren. Öl, Gas und Kohle wäre dann nur noch Regelenergie zum Ausgleich der Fluktuationen der Erneuerbaren. Diese Umstellung von einer zentralen auf eine dezentrale Energieversorgung ist eine gigantische Aufgabe, viel schwerer als etwas Solarstrom ins Netz einzuspeisen…. Dabei gibt es wenige große Verlierer und Millionen Gewinner. Diese Innovation eines miteinander vernetzten dezentralen Energieversorgungssystems ist eine Stärke, die unser System viel unabhängiger und störunanfälliger macht. Es macht übermäßigen Netzausbau überflüssig und ermöglicht erstmals die Einkopplung fluktuierender erneuerbarer Energien jenseits der 50% Grenzlinie. Für diesen Wandel kommt ein differenzierter Zusammenschluss aus regionalen Energieversorgern und Netzbetreibern, Stadtwerken sowie Bürgern in Frage. Diese neu gewonnen Stärke muss mit einer zweiten Stärke kombiniert werden: den Energiespeichern. Hier meine ich in erster Linie Wärmespeicher. Wird dezentral Strom und Regelenergie zum Beispiel mit Blockheizkraftwerken produziert, muss die Abwärme in Wärmespeichern zwischengespeichert werden, damit diese dann zeitversetzt über Wärmenetze zu den umliegenden Gebäuden, Quartieren und Städten gebracht werden können. Dort könnte auch die Industrie Abwärme einlagern. Außerdem könnten wir fluktuierende erneuerbare Energieüberschüsse aus Wind und Sonne über eine Heizpatrone im Wärmespeicher fast verlustfrei zu Wärme machen und sinnvoll nutzen, anstatt diesen Strom mit negativen Strompreis ins Ausland zu verschenken.
Wärmespeicher sind schnell und viel kostengünstiger verfügbar als Solarspeicher. Aktuell um einen Faktor von 75 preiswerter. Lassen Sie mich das an einem Beispiel eines neu gebauten Einfamilienhauses mit 10.000 kWh Wärmebedarf für Heizung und Warmwasser und 3.000 kWh Strombedarf für den Haushalt erläutern. Wenn Sie dort einen LiIo Akku für eine Photovoltaikanlage einsetzen wollen, müssen Sie etwa 1.500 Euro brutto pro Kilowattstunde Kapazität fertig installiert investieren. Damit können Sie dann bei üblicher Auslegung den Solarstrom von Mittag bis in die Nacht hinein also einen halben Tag speichern. Setzen Sie einen Langzeitwärmespeicher ein, so liegen die Investitionskosten schüsselfertig bei etwa 20 Euro brutto pro Kilowattstunde und Sie können darin zum Beispiel die Wärme aus einer Solarthermieanlage bis zu mehreren Wochen speichern.
Was genießt hingegen die politische Aufmerksamkeit? Die Stromspeicher….. Wärme ist politisch nicht sexy, das muss und wird sich ändern.
Hier wird das Problem deutlich. Der Löwenanteil im Gebäudeenergieverbrauch ist die Wärme und nicht der Strom. Deswegen wäre es regenerativ denkend sehr förderlich für den Wärmebedarf Solarthermie mit Langzeitwärmespeicherung zu nutzen und für den Haushaltstrom Photovoltaik und Akkus. Das führt zu sehr hohen solaren Deckungsraten und zu hoher Unabhängigkeit.
Der Weg zur solaren hochgradigen Eigenstromversorgung führt - allem Rummel in den Medien zum Trotz, nicht über die Photovoltaik ANSTELLE von irgendetwas, sondern über die Solarthermie, die man um Photovoltaik ergänzt.
Wenn wir weiter das Heizen mit Strom (Luftwärmepumpen) forcieren und den Hausbesitzer suggerieren, man könnte diese einfach so im Winter mit Solarstrom betreiben erliegen wir dem Phänomen der saisonalen Illusion. Die Photovoltaikanlage erzeugt 80% ihres Ertrages im Sommerhalbjahr, die Wärmepumpe braucht 80 % ihres Stromes im Winterhalbjahr. Damit verlagern wir (wieder einmal) die Probleme ins öffentliche Stromnetz in der Hoffnung „irgendjemand“ wird sich schon darum kümmern. Die Zeche zahlt dann (wieder einmal) der Bürger.
Wie wir Energieversorgung in Zukunft sicherstellen
eccuro: Wenn der Zeithorizont auch immer wieder diskutiert wird, die Endlichkeit fossiler Rohstoffe ist eine Tatsache. Bei der Suche nach Alternativen haben wir unter anderem die Möglichkeiten auf erneuerbare Energien umzusteigen oder den Energiebedarf drastisch zu reduzieren. Welchen Weg schlagen Sie vor um die Energieversorgung auch langfristig sicherstellen zu können?
Prof. Timo Leukefeld: Vorhersagen, welche die Zukunft betreffen sind bekanntermaßen sehr schwierig. Wir erleben ja gerade, wie die Öl- und Gaspreise gefallen sind, wie sich neue Fördertechniken etablieren und wie gerade in der neuesten BP Studie nachgewiesen wurde, dass der Weltenergieverbrauch kaum noch steigt. Grundvoraussetzung eines Wandels ist natürlich die Senkung des Energieverbrauchs. Und das ist heute ohne jeden Komfortverlust problemlos möglich, wenn man klug investiert.
Im Moment ist eine rein wirtschaftliche Betrachtung der erneuerbaren Energien kritisch und ich rechne damit, dass das noch einige Jahre so bleiben wird. Der frische Wind kommt aus einer anderen Richtung. Die Dekarbonisierung der Weltwirtschaft wird politisch eingeleitet, um die weitere Erderwärmung zu verlangsamen. Das kann zu einem gehörigen Wertverlust der Aktien der Firmen führen, deren Wert durch die fossilen Reserven bestimmt sind. Erste größere Geldanleger ziehen ihr Kapital aus fossil basierten Firmen ab. Man spricht von der sogenannten Kohlenstoff Blase. Wenn dieses Geld umgelenkt wird in die erneuerbaren Energiefirmen, dass Energieinternet und die Digitalisierung der Energiewirtschaft weiter ausgebaut wird, die Speicherung von Energie kostengünstiger wird und die erzeugten Kilowattstunden aus Sonne und Wind dem Gesetz der nahezu Null Grenzkosten Gesellschaft folgend immer weniger kostet, ist die Umstellung der alten fossilen Energiewirtschaft auf eine neue saubere erneuerbare Energiewirtschaft nicht mehr aufzuhalten. Das wird wesentlich schneller gehen, als wir uns das vorstellen können. Hauptgrund ist die Effizienzsteigerung durch die Digitalisierung. Dann ist die Energieversorgung auch wieder sicherer, als in der Umstellungsphase. Auf dem Weg dahin würde ich sämtliche staatlichen Subventionen und Quersubventionen in fossile, atomare und erneuerbare Energieerzeugungsarten mit fairer Ansage über die nächsten 10 Jahre auf Null herunterfahren. Der Markt war in den letzten 20 Jahren durch diese Subventionierungen völlig verzerrt.
Können wir Energieautark leben?
eccuro: In Freiberg bewohnen Sie mit Ihrer Familie ein energieautarkes Haus - sogar das ertste Deutschlands. Wie ist es möglich weitestgehend unabhängig von öffentlichen Versorgern zu sein? Achten Sie bei Heizung und Strom bewusst auf einen besonders niedrigen Verbrauch?
Prof. Timo Leukefeld: Wir haben das am ersten energieautarken Haus in Freiberg gezeigt was heute möglich ist und wie das geht und den Stromverbrauch ohne Einschränkung der Lebensqualität mit 5 Personen und technischer Vollausstattung auf 2.100 kWh/a gesenkt. Der Bundesdurchschnitt liegt bei etwa 5.000 kWh/a!!! Und den Wärmebedarf des Hauses haben wir durch eine sehr gute Hülle mit wenig Wärmeverlusten (massive Ziegelwand ohne Extra Dämmung an der Außenwand) auf etwa 7.000 kWh/a reduziert. Ein Bestands Einfamilienhaus energetisch nicht saniert liegt eher bei 20.000 kWh/a. Wir haben somit „energetische Verbrauchssicherungen“ eingebaut, in deren Rahmen wir uns frei bewegen. Den Wärmebedarf deckt zu 70 % eine Solarthermieanlage mit 9 m³ Langzeitwärmespeicher, den Rest macht ein Stückholzofen. Der Strombedarf wird in einem normalen durchschnittlichen Solarstrahlungsjahr zu 100% abgedeckt, auch im Winter. Zusätzlich ist das Haus auch die Tankstelle für das Elektroauto, was 10 Monate eigenen Solarstrom tankt, zwei Monate (Dezember und Januar) muss es aus dem Netz betankt werden. Das ist ein extrem hoher Grad an Unabhängigkeit. Wir möchten im Haus keine DIN Norm Temperatur haben, sondern drehen die Heizung auf 23 Grad und sparen trotzdem. Wir erzeugen Solarstrom und speichern diesen, deswegen lassen wir das LEA Licht einfach brennen. Den ganzen Überschusssolarstrom laden wir ins E Auto und fahren mit gutem Gewissen lustvoll viele Autokilometer. Das nenne ich „intelligentes verschwenden“. Es ist das Gegenteil vom „blöden sparen“. Dabei geht es nicht um Robinson Lösungen, sondern um Vernetzung. Wir lassen den Netzanschluss auf alle Fälle am Haus und kooperieren mit den Energieversorgern. Diese nutzen von außen nach Absprache die großen Wärme- und Stromspeicher, um regenerative Energieüberschüsse einzulagern und in Mangelzeiten wieder zu entnehmen. Das stabilisiert das Netz und erzeugt bei kluger Steuerung Gewinne. Wer in Zukunft Strom- und Wärmespeicher besitzt und diese mit den Energieversorgern zusammen bewirtschaftet verdient Geld und nützt der Allgemeinheit. So erarbeiten wir mit den Versorgern ganz neue Geschäftsmodelle mit dezentraler erneuerbarer Energie ohne staatliche Subventionen.
Energieautarkie und Sanierung
eccuro: Ein Schwerpunktthema, um die von der Bundesregierung definierten Energiewendeziele erreichen zu können, ist die Sanierung. In wieweit können die von Ihnen entwickelten Gebäudekonzepte auch auf die Sanierung angewandt werden?
Prof. Timo Leukefeld: Nach erfolgreicher Entwicklung des Einfamilienneubaubereiches übertragen wir diese Konzepte nun auf Mehrfamilienhäuser, Gewerbeobjekte und den Altbau. Im Gebäudebestand erreicht man die Vollautarkie wegen der gegebenen Bedingungen meist nicht. Die Massenanwendung dort ist die Teilauautarkie. Hier greift nur ein ganzheitlicher Ansatz: die energetische Sanierung der Hülle muss mit der Solartechnik kombiniert werden. Wenn also ein solartaugliches unverschattetes Dach vorhanden ist, sind die Chancen recht gut solche Konzepte auch im Bestand umzusetzen. Dafür gibt es sehr flexible Speicher aus Stahl oder Kunststoff, die erst im Keller zusammengesetzt werden oder auch in der Erde neben dem Haus vergraben werden können
Im Mehrfamilienhaus ist der vernetzte energieautarke Ansatz besonders spannend. Hier kann die Wohnungswirtschaft ihren Mietern eine fest garantierte Bruttomiete über mehrere Jahre anbieten, in der Wohnen, Heizung, Strom und E Mobilität bereits enthalten sind. Dann erübrigt sich die Betriebskostenabrechnung. Die Mieterausgaben für Wärme, Strom und das Tanken werden somit in die Kaltmiete übernommen. Dadurch refinanziert sich die Mehrinvestition für den Vermieter ohne Subventionen. Ein Modell was bei älteren Mietern (Sicherheit) und bei jungen Mietern der „Flatrategeneration“ besonders nachgefragt ist.
Fazit und Zusammenfassung
Mit viel Interesse und Engagement, hat es Prof. Timo Leukefeld vom gelernten Handwerker zum Energiebotschafter der Bundesregierung geschafft. Als Experte für energetisches Wohnen in der Zukunft, beschäftigt er sich heute intensiv mit nachhaltigen Bau- und Sanierungskonzepten basierend auf regenerativen Energien.
Den aktuellen Stand der Energiewende in Deutschland schätzt er als kritisch ein. Grund dafür: Schwächen werden mit Schwächen kombiniert. Das heißt, dass durch einen zu hohen Anteil fluktuierender erneuerbarer Energien im zentralen Versorgungsnetz die Gefahr eines Kollapses zunehmend steigt.
Günstig, für eine nachhaltige und sichere Energieversorgung ist nach Prof. Leukefeld der Umschwung auf ein dezentrales System, in dem Strom hauptsächlich da produziert wird wo er auch verbraucht wird. Hinzu kommt die Anerkennung der Wärme als Löwenanteil des Energieverbrauchs in vielen Bereichen. Die sinnvolle Kombination von Strom- und Wärmespeicher kann dabei zu effizienten und nachhaltigen Energiekonzepten führen.
Nach Aussagen von Prof. Leukefeld wird die Energiewende in Zukunft große Schübe erleben. Die wichtigsten Gründe dafür sind:
- Dekarbonisierung der Weltwirtschaft
- Digitalisierung der Energiewirtschaft
Besonders wichtig für eine nachhaltige Energieversorgung ist eine sinnvolle Kombination aus der Reduktion der Wärmeverluste, dem Einsatz effizienter Technik und der intelligenten Vernetzung von Energieverbrauchern und Erzeugern. Am eigenen Beispiel schafft es Prof. Timo Leukefeld so Energieautark zu leben. Und das ohne an Komfort und Behaglichkeit zu sparen.
Wir bedanken uns recht herzlich bei Prof. Timo Leukefeld für die sehr interessanten Einblicke in seinen Blick auf die Energiewende.
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