Das Reetdach: Aufbau und Verarbeitung
Aus dem Inhalt:
Häuser mit Reetdach, sogenannte Reetdachhäuser, sind in vielen Küstenregionen der Welt zu finden. Neben Landstrichen an der Nord- und der Ostsee kommt die spezielle Dacheindeckung auch in Irland, China und Asien zum Einsatz. Das Reetdach ist dabei mit einer langen Tradition verbunden: Denn Reet oder Schilf bedeckte bereits die ersten Häuser sesshafter Menschen, etwa 4.000 Jahre vor Christus. Während das Dachmaterial durch seine Brandgefahr in Städten durch feste Eindeckungen ersetzt wurde, ist es in vielen ländlichen Regionen noch immer typisch.
Übrigens: Das Reetdach ist ein Kulturgut und in manchen Regionen sogar vorgeschrieben. So dürfen Bauherren in einigen Städten auf Sylt keine anderen Materialien zur Dacheindeckung verwenden.
Reet für die ökologische Dacheindeckung
Hauptbestandteil eines Reetdachs ist Reet. Ein Schilfrohr, das an Ufern und in sumpfigem Gelände wächst. Es lässt sich in einem einjährigen Rhythmus ernten, trocknen und zur Dacheindeckung verwenden. Neben Deutschland stammt das ökologische Material dabei überwiegend aus Rumänien, Ungarn und der Ukraine. Durch unterschiedliche Erntezeiten importiert der einheimische Schilfrohrhandel Reet aber auch aus Ländern wie der Türkei oder China. Um der Verrottung entgegenzuwirken, muss das Schilfrohr vor dem Verarbeiten ausreichend trocken sein. Experten empfehlen dabei einen Restfeuchtegehalt von weniger als 18 Prozent.
Übrigens: Durch einen hohen Lignin-Anteil sind vor allem die unteren Bereiche der Schilfrohre besonders widerstandsfähig. Um diese zu erhalten, kommt es auf die fachgerechte Ernte des Reets an.
Traditionelle Verlegung auf dem Dachstuhl
Das Decken der Reetdächer erfolgt auch heute noch auf traditionelle Art und Weise. Dabei befestigen Reetdachdecker Schilf-Bündel von unten nach oben auf der kompletten Fläche des Daches. Das Reet lässt sich dazu an die Dachlatten binden, nähen oder schrauben. Die folgende Tabelle zeigt, was die einzelnen Verfahren voneinander unterscheidet.
Reetdach-Montage | Verarbeitung |
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Reet Binden | Reetdachdecker befestigen das Reet mit einem Draht an der Unterkonstruktion. Diesen führen sie mit einer Nadel durch die Schilf-Schicht. Mit einer zweiten Nadel greifen sie den Draht unter der Dachlatte, ziehen ihn nach oben und verknoten die Enden. Von Knechten fixierte Haltestöcke drücken das Reet währenddessen fest auf das Dach. Diese Art des Reetdach-Deckens ist einfach, von einer Person durchführbar und stabil. |
Reet Nähen | Bei dieser Variante nähen Reetdachdecker das Reet (Schilf) mit einem speziellen Draht an den Dachlatten fest. Das ist aufwendiger und erforderte früher mindestens zwei Fachhandwerker. Ein Vorteil dieser Technik ist weniger Metall im Reetdach-Aufbau. |
Reet Verschrauben | Das Verschrauben der Reetdächer kommt erst seit den 1980 Jahren zum Einsatz. Dabei binden Dachdecker den Haltedraht der Schilfbunde um eine Schraube. Diese können sie mit einer Verlängerung einfach in die Dachlatten treiben. Das Reetdach lässt sich auf diese Weise einfach und schnell decken. Das Schilfrohr sitzt etwas lockerer und die Qualität der Verschraubung lässt sich mit bloßem Auge nicht kontrollieren. |
Unabhängig von der Verbindungsart bringen Dachdecker das Reet Lage für Lage auf das Reetdachhaus. Um dabei für eine hohe Widerstandsfähigkeit zu sorgen, müssen die ligninreichen Wurzelenden der Halme sichtbar sein. Für die richtige Form sorgen Reetdachdecker übrigens auch heute noch mit einem traditionellen Klopfbrett.
Übrigens: Damit das Reetdach fest sitzt, liegen die Halme auf Spannung. Möglich ist das durch ein Brett an der Traufe, das etwa 5 bis 7 cm über den restlichen Dachlatten angebracht ist. Bei dem Maß der Überhöhung sprechen Experten vom Kniep oder Knipp.
Das Reetdach als Warmdach und Kaltdach
Die Konstruktion der speziellen Reetdächer lässt sich heute als Warmdach oder als Kaltdach ausführen. Bei einem Reetdach als Kaltdach sind die Halme von innen sichtbar. Der Dachboden ist gut durchlüftet und angefallene Feuchtigkeit lässt sich sicher entfernen. Wer das Reetdach dämmen möchte, installiert dabei eine zusätzliche Innenschale aus Dämmstoffen. Zwischen Reet und Innenschale bleibt ein Luftspalt, der über mindestens zwei Öffnungen mit der Umgebung verbunden ist. Die Außenluft kann hindurchströmen und anfallende Feuchte sicher nach außen abführen.
Bei einem Reetdach als Warmdach fehlt die Hinterlüftung, wodurch der Abtransport anfallender Feuchte beeinträchtigt ist. Um Bauschäden dennoch zu vermeiden, installieren Experten dampfsperrende Folien von innen unter der Dämmung. In der Praxis sind diese jedoch selten richtig dicht, wodurch immer ein Restrisiko bleibt. Minimieren lässt sich dieses Experten zufolge mit einer feuchtevariablen Dampfbremse und einer ökologischen Einblasdämmung. Dampfbremsen mit feuchtevariablen Eigenschaften passen ihre Durchlässigkeit an die relative Feuchte im Raum an. Im Winter sind sie besonders dicht und schützen die Reetdach-Konstruktion vor eintretendem Wasserdampf. Im Sommer sind sie hingegen dampfdurchlässig, sodass eingetretene Feuchtigkeit sicher in den Raum austrockenen kann. Die Einblasdämmung speichert die eingetretene Feuchtigkeit im Winter und gibt sie im Sommer wieder ab. Das hält die Reetdach-Konstruktion trocken und beugt Bauschäden wie der Verrottung vom Reet vor.
Übrigens: Damit die Warmdach-Konstruktion im Reetdachhaus funktioniert, ist in jedem Fall eine fachgerechte Ausführung erforderlich. Energieberater und Planer aus Ihrer Region finden Sie über unser Experten-Netzwerk. Stellen Sie Ihre Frage zum Reetdach direkt an einen erfahrenen Fachmann.
Besondere Anforderungen an die Reetdach-Konstruktion
Damit ein Reetdach funktioniert, sind einige Voraussetzungen zu erfüllen. So muss die Dachneigung mindestens 45 Grad betragen, damit Wasser von außen sicher ablaufen kann. Während Gauben diesen Winkel unterschreiten dürfen, müssen diese einen gewissen Mindestabstand voneinander haben. Geht es um die Reet-Schicht auf dem Dach, so muss diese mindestens 30 Zentimeter stark sein. Außerdem gilt ein Mindestabstand von 50 Zentimetern zwischen Mauerwerk und Dachoberkante. Gleiches gilt für den Traufüberstand, der Regenwasser vom Haus fern hält und somit dem konstruktiven Feuchteschutz dient. Da Reet im trockenen Zustand brennbar ist, schreiben die Brandschutzvorschriften außerdem vor, dass der Schornsteinaustritt mindestens 80 Zentimeter über dem First des Reetdachs liegen muss.
Dachgeschoss unter dem Reetdach ausbauen
Wer ein Reetdachhaus besitzt und den Dachboden ausbauen möchte, muss besonders sorgfältig vorgehen. So ist es wichtig, dass die Reetdach-Konstruktion eventuell eingetretene Feuchtigkeit sicher nach außen abführen kann. Möglich ist das mit einer Hinterlüftung, die das Reet von der Dämmung trennt. Sie ist mit der Umgebung verbunden, sodass die hindurchströmende Luft das Wasser abführen kann. Möchten Bauherren auf die Hinterlüftung verzichten, können sie die Dachsparren von innen mit einer feuchtevariablen Dampfbremse belegen. Der Zwischenraum lässt sich anschließend mit einer ökologischen Einblasdämmung ausfüllen. Während die Dampfbremse im Winter abdichtet, sorgt sie im Sommer für ein hohes Rücktrocknungspotenzial. Die Einblasdämmung kann eventuell eingetretenes Wasser im Winter speichern und im Sommer sicher nach innen abführen. Wir empfehlen in jedem Fall die individuelle Beratung und Planung durch einen Energieberater. Nur dieser kann Schwachstellen in der Reetdach-Konstruktion erkennen und entsprechende Lösungen vorschlagen.
Übrigens: Wer das Reetdach von innen dämmt, sollte auf eine luftdichte Ausführung achten. Fehlstellen lassen sich dabei zum Beispiel mit einer Blower-Door-Messung identifizieren. Um für alle Eventualitäten gerüstet zu sein, empfiehlt es sich außerdem, die Verkleidung innen mit einem gewissen Abstand zur dampfbremsenden Folie zu verlegen. Das schafft Platz für Kabel oder andere Leitungen und die Folie muss nicht durchstoßen werden.
Video-Reportage: Von Reet zum Dach – Wie funktioniert das?
Eigenschaften der Dacheindeckung aus Reet
Ein Reetdach besteht aus nachwachsenden Baustoffen und ist umweltfreundlich. Es bietet Schutz vor Regen sowie Schnee und sorgt darüber hinaus für eine ganz besondere Architektur. Aber wie sieht es mit den Eigenschaften der Dächer im Detail aus? Wie lange hält das Reet? Was passiert bei einem Brand und was passiert bei anhaltender Feuchtigkeit mit dem Reetdach?
Haltbarkeit der ökologischen Materialien
Ein Reetdach gilt als langlebig. So hält es in der Regel 30 bis 50 Jahre oder sogar länger. Zum Vergleich: Während ein Ziegeldach eine Haltbarkeit von etwa 30 bis 80 Jahren aufweist, schützt ein Kupferdach oft über 200 Jahre sicher vor Wind und Wetter. Bei einem Reetdachhaus hängt die Langlebigkeit jedoch von zahlreichen Faktoren ab. So zum Beispiel von der:
- Form des Reetdaches und der Anzahl der Gauben
- feuchtetechnischen Ausführung der Konstruktion
- Qualität und der Restfeuchte des verwendeten Reets
- Region, in der das Reetdachhaus steht
Außerdem empfehlen Experten eine regelmäßige Wartung und Pflege, um das Reetdach möglichst lange zu erhalten.
Hohe Brandgefahr eines Daches aus Reet
Vor allem im trockenen Zustand ist ein Reetdach leicht brennbar. Hat es einmal Feuer gefangen, breiten sich die Flammen innerhalb kürzester Zeit über der gesamten Dachfläche aus. Ein Grund dafür, dass Dächer aus Reet in dicht besiedelten Städten schon lange durch nicht brennbare Materialien wie Ziegel ersetzt wurden. Um die Gefahren zu mindern, ist es in einigen Regionen heute sogar Verboten, Feuerwerkskörper zu zünden.
Übrigens: Brennt das Reet, können die entflammten Bündel nach und nach vom Dach rutschen. Das Entkommen aus einem brennenden Reetdachhaus kann dabei zu einem großen Problem werden. Um diesem vorzubeugen, gab es bereits früher spezielle Brandtüren. Diese führen an der Giebelseite nach außen und bieten durch ein Vordach Schutz.
Algen und Schimmelbildung am Reetdach
Reet ist ein natürliches Material, das einen hervorragenden Grund für Mikroorganismen jeder Art bildet. So kommt es auf einem Reetdachhaus regelmäßig zu einem Bewuchs von Moos, Algen oder Schimmelpilzen. Denn diese gedeihen in der feuchtwarmen Umgebung des Reets prächtig. Sie führen allerdings dazu, dass immer weniger Wasser aus dem Reetdach entweichen kann. Das Reet bleibt feucht und altert spürbar schneller. Gründe für einen starken Bewuchs finden Experten immer wieder in fehlerhaften Konstruktionen, schlechter Reet-Qualität und mangelnder Pflege.
Wartung und Pflege eines Reetdachs
Damit ein Dach aus Reet der Witterung lange standhalten kann, kommt es auf die richtige Pflege an. Denn nur ein sauberes und trockenes Reetdach ist bestmöglich vor Moos, Algen und Pilzen geschützt. Hausbesitzer sollten ihr Dach daher mindestens einmal im Jahr säubern. Sinnvoll ist es in diesem Zusammenhang auch, umliegende Bäume zu stutzen, um die Belaubung einzudämmen.
Weiterhin sollten Verbraucher Reetdachdecker bei Bedarf mit dem Festklopfen und der Beseitigung von Algen und Moos beauftragen. Schäden am Reetdach, die durch Tiere oder die Witterung entstanden, sollten außerdem schnellstmöglich repariert werden. Dazu können Fachhandwerker Schadstellen flicken oder das Reet in Teilbereichen austauschen.
Vorteile und Nachteile der Reetdächer
Kein anderes Dach versprüht so viel Gemütlichkeit, wie ein Reetdach. Es besteht aus schnell nachwachsenden Rohstoffen und gilt somit als besonders umweltfreundlich. Mit der richtigen Pflege ist die traditionelle Eindeckung aus Reet außerdem lange haltbar. Nachteilig ist hingegen der hohe Aufwand zur Eindeckung. Reetdächer sind immer auch mit einer gewissen Brandgefahr verbunden und im Allgemeinen sehr pflege- und wartungsintensiv. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick.
Vorteile der Reetdächer | Nachteile der Reetdächer |
---|---|
traditionelle, natürliche Eindeckung | Eindeckung ist aufwendig |
schnell nachwachsende Rohstoffe | Brandgefahr des trockenen Schilfs |
Dach ist fast komplett verwertbar | hoher Pflege- und Wartungsaufwand |
mit entsprechender Pflege lange haltbar | vergleichsweise hoher Preise |
Genau wie das Reetdach selbst, hat übrigens auch der Beruf des Reetdachdeckers eine lange Tradition. Ein Grund dafür, dass dieser heute als immaterielles Gut zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt.
Reetdach: Kosten für Eindeckung und Wartung
Wie viel kann ein Reetdach kosten? Eine Antwort auf diese Frage lässt sich eigentlich nur individuell geben. Denn wie viel Geld Bauherren für ein neues Dach aus Reet ausgeben müssen, hängt von vielen Faktoren ab. Darunter zum Beispiel von der Größe der Dachflächen und der Architektur des Daches. Auch die Anzahl der Gauben wirkt sich spürbar auf die Preise der Reetdächer aus. Überschlägig können Verbraucher mit Kosten von 80 bis 150 Euro pro Quadratmeter Rechnen. Für ein Dach mit 150 Quadratmetern Fläche ergibt das einen Gesamtpreis von 12.000 bis 22.500 Euro. Eine genaue Auskunft kann hier allein ein Reetdachdecker geben.
Wichtig zu wissen ist, dass für ein Reetdach weitere Kosten anfallen können. So zum Beispiel für eine Feuerversicherung, die regelmäßige Pflege und eventuelle Reparaturen. Anders als die Installationskosten fallen diese Ausgaben wiederkehrend an.
Wie viel eine komplette Dachsanierung inklusive Dachfenster, Dachstuhl und Dacheindeckung kostet, zeigen wir im Beitrag „Was kostet ein neues Dach“.
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